Jiping Wang Xiao Feng Josef Rützel
Die chinesische Berufsbildungsforschung und -praxis hat sich in den letzten 30 Jahren rasant entwickelt. Sie hat sich sowohl hinsichtlich ihrer Gegenstände, Forschungsansätze und Methoden, als auch bezogen auf die Organisation, die Vernetzung und die internationalen Kooperationen erheblich ausdifferenziert.
Dennoch sind noch unzählige Fragen zu beantworten; die aktuellsten sind jene nach der (1) Professionalisierung der Berufschullehrer, (2) der Systementwicklung, insbesondere zu Fragen der Ausgestaltung der Berufsbildung auf der mittleren Ebene und der höheren Berufsbildung (3) zu den Ausbildungscurricula für die berufsbildenden Schulen, (4) zum Inhalt und zur Verortung der Allgemeinen Didaktik und Fachdidaktik, (5) zur Ausgestaltung von Lehr-/Lernarrangements, zur (6) Qualität im Berufsbildungssystem und der beruflichen Lehrerbildung und (7) deren Evaluation sowie (8) Analyse zum Schülerpotential, zur Berufseignung und zu den Berufswahlprozessen (Zheng & Rützel, 2014). Diese Herausforderungen sind spiegelbildlich auch jene, die in Forschungsprojekten bearbeitet werden und welche die berufspädagogische Forschung in China prägen, die sich in erster Linie nach ihren Gegenständen systematisiert (Zheng & Rützel, 2014).
In ihren Forschungsarbeiten orientieren sich die chinesischen Berufspädagogen einerseits an traditionellen chinesischen Erziehungstheorien; andererseits wird „im beruflichen Bildungssektor [...] von chinesischer Seite insbesondere Expertise über ausländische Referenzmodelle [...] nachgefragt“ (Klorer, 2016). Neben der deutschen Berufspädagogik und Berufsbildungsforschung spielen auch anglo-amerikanische und australische Ansätze eine große Rolle (Zheng & Rützel, 2014) wie auch im tertiären Sektor das indische Modell des Technical College, das in Pilotprojekten realisiert wird (Yang, 2014).
Doch auch in Deutschland ist die seit den 1960er Jahren in der Berufspädagogik entstandene Forschungslandschaft hochkomplex. Paradigmatische Positionen stehen ebenso im Widerstreit untereinander wie die an einem naturwissenschaftlichen Verständnis ausgerichtete empirische Forschung und die wissenschaftliche Begleit- bzw.„Modellversuchsforschung“.
Dies gilt gleichermaßen für die an sehr unterschiedlichen theoretischen Zugängen, Paradigmen und wissenschaftlichen Positionen ausgerichteten Forschungsstrategien,-methoden und-standards (Rützel, 2015). Insbesondere die Beiträge der AGBFN-Tagung in Wien zeigen wichtige Facetten des erreichten Forschungsstandes auf (Severing/Weiß, 2012). Wenn auch erheblich kleinteiliger und konkreter sind die für China aufgeworfenen Forschungsfragen auch Gegenstand der deutschen Berufsbildungsforschung. Daher versprechen der Forschungsaustausch und die Forschungskooperation für beide Partner hohe Potentiale.
Um die Hintergründe der Forschungskooperationen besser zu verstehen und einordnen zu können, erfolgt zunächst ein kurzer Abriss zur Berufsbildungszusammenarbeit, den Akteuren in der Berufsbilungsforschung sowie zur Bedeutung des „Chinesisch - Deutschen Instituts für Berufsbildung“ an der Tongji Universität in Shanghai.
Berufsbildungszusammenarbeit zwischen China und Deutschland
Die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Berufsbildungsforschung ging mit der wirtschaftlichen, industriellen und gesellschaftlichen Entwicklung Chinas einher. Ihr Beginn wird parallel zur Einrichtung von Industrieschulen Ende des 19. Jahrhunderts datiert. Der durch den industriellen Aufschwung entstandene Bedarf an Fachkräften führte auch zur Gründung erster Forschungsinstitute und wissenschaftlicher Vereinigungen der Berufsbildung. Vor allem durch den 1917 von 40 bekannten Wissenschaftlern gegründeten„Chinesischer Verein für Berufsbildung“ wurden systematische Formen der Berufsbildung initiiert. Einerseits wurden theoretische Grundlagen, Leitideen und Leitprinzipien für die Berufsbildung erarbeitet und andererseits empirisch zu Fachklassifikationen, Lehrwerken, zum Praxisunterricht und zur Lehrerbildung geforscht (Rützel, Ziehm, 2003).
Mit dem politischen Reformkurs Ende der 1970er Jahre wurde auch die Berufsbildung in China stark ausgebaut. Durch die vorsichtige internationale Öffnung wuchs das Interesse an wirtschaftlicher, politischer und technischer Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland. Dabei ist die chinesisch-deutsche Kooperation auf dem Gebiet der Berufsbildung besonders hervorzuheben, denn die Duale Ausbildung gilt in der Volksrepublik China als Erfolgsmodell (Wagner, 2003). Auch von der Bundesregierung wurde der besondere Stellenwert der Beruflichen Bildung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit betont und durch Mittel für Berufsbildungsprojekte unterstützt (Köhne, 1999). Bereits zu Beginn der 1980er Jahre starteten die ersten von der Bundesrepublik Deutschland finanziell, technisch und durch Beratung unterstützten Projekte. 1994 waren es mehr als 30 von Deutschland unterstützte Projekte auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene. Eigene Projekte mit China unterstützten auch die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen. Andere Bundesländer legten den Schwerpunkt auf die Förderung von Fach- und Führungskräften, chinesische Studenten in Deutschland und auf punktuelle wissenschaftliche Zusammenarbeit (Köhne, 1999). Auch die Hans-Seidel-Stiftung ist ein wichtiger Akteur bei der Förderung der Berufsbildung. Eine erste Bilanzierung fand 1994 auf dem Symposium„10 Jahre chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in der Berufsbildung“ in Hangzhou statt (Zentralinstitut für Berufsbildung, 1994 ).
Verstärkt und ausgeweitet wurde die Zusammenarbeit in der Berufsbildung durch die zwischen den damaligen Regierungschefs der beiden Länder Peng Li und Helmut Kohl 1993 vereinbarte Berufsbildungsinitiative. Durch diese Initiative stieg die Zahl der Projekte bis Ende der 1990 Jahre auf mehr als 50. Lag das Gewicht zu Beginn der Berufsbildungsförderung auf Vorhaben zur Qualifizierung von Fachkräften, wurden ab Beginn der 1990er vor allem Projekte auf der System- und Multiplikatoren-Ebene gefördert (Köhne, 1999).
Neue Akteure in der chinesischen Berufsbildungsforschung
Durch den quantitativen und qualitativen Ausbau der Berufsbildung wurde nicht nur der Forschungsbedarf erhöht, die Berufsbildungsforschung war vielmehr selbst Teil einzelner Projekte. Zu diesen zählen insbesondere die Gründung des Zentralinstituts für Berufsbildung (ZIBB) in Peking, das beim chinesischen Arbeitsministerium angesiedelte Occupational Skill and Testing Authority (OSTA) sowie die Regionalinstitute für Berufsbildung (RIBB) in Shanghai und in Liaoning. Diese Einrichtungen nehmen neben Dienstleistungen und Dokumentationen Aufgaben der angewandten Forschung wahr.Kennzeichnend für diese Forschungsarbeiten ist ein beschreibender Charakter und eine unzureichende theoretische und empirische Fundierung (Rützel/Ziehm, 2003).
Von den deutschen Projektverantwortlichen, die sich zu einem Arbeitskreis Berufsbildung in der Volksrepublik China zusammenschlossen, wurde der Erfahrungs- und Wissenschaftsaustausch besonders gepflegt, unter Anderem wurden Symposien in Zusammenarbeit mit dem ZIBB, den RIBB’s in Shanghai und Liaoning sowie dem Koordinations- und Informationszentrum in Peking organisiert. An diesen mehrtägigen Symposien nahmen chinesische und deutsche Experten aus Berufsbildungsinstitutionen, Ministerien, Hochschulen und Projekten teil. Das letzte Symposium fand 2007 anlässlich der Hundertjahrfeier der Tongji Universität in Shanghai statt (Institut für Berufsbildung& Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, 2007). Von diesen Symposien gingen wichtige Impulse für die Berufsbildung, für den Austausch der Wissenschaftler und für die vergleichende Berufsbildungsforschung aus.
Das Chinesisch-Deutsche Institut für Berufsbildung an der Tongji Universität
Die Vorhaben auf der „politisch-strategischen Ebene“ wurden ergänzt durch Projekte auf der Steuerungs- bzw. Multiplikatorenebene. Für die Berufsbildungsforschung ist insbesondere das Projekt „Ausbildung von Berufsbildungslehrkräften an der Tongji Universität Shanghai“ (ABT-S) bedeutsam. Ziele des Projekts waren die Beratung und Unterstützung bei der Planung, Organisation und Durchführung neu einzurichtender Studiengänge für Berufsbildungslehrkräfte und des neu gegründeten Instituts für Berufsbildung (IBB), seit 2013 Chinesisch-Deutsches Institut für Berufsbildung (CDIBB), zu unterstützen. Darüber hinaus war die Stärkung der Berufsbildungsforschung expliziter Bestandteil des Projekts. Hierzu wurde ein Programm für zunächst zwölf chinesische Hochschullehrkräfte des IBB zur Promotion in Deutschland eingerichtet. Um diese Promotionen zu ermöglichen schloss das IBB ab 2000 Kooperationsvereinbarungen mit mehreren Universitäten in Deutschland ab, u. a. mit der Universität Bremen, der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Kassel. Im Rahmen dieses Programms wurden insgesamt sieben Dozenten an der Universität Bremen, vier an der Technischen Universität Darmstadt und zwei an der Universität Kassel promoviert. Fast alle sind inzwischen Professoren oder Vize-Professoren. Die erste Dissertation an der Technischen Universität Darmstadt zur Fachdidaktik der Elektrotechnik in der chinesischen Lehrerbildung startete im Jahr 2001 und wurde 2004 abgeschlossen (Chen, 2004). Neben der Lehrerbildung wurden in den zahlreichen Dissertationen auch Fragen zur Veränderung der Arbeit, der Curriculumentwicklung, der Neuen Medien, der Lerngestaltung und der Qualität in der Berufsbildung bearbeitet.
Chinesisch-Deutsche Workshops zur Berufsbildungsforschung
Durch diese Kooperationen wurde der durch die Symposien, die wissenschaftliche Beratungen in den Projekten, die Lang- und Kurzzeitfachkräfte aus dem Hochschulbereich sowie durch Länderinitiativen eingeleitete Forschungs- und Wissenschaftleraustausch erheblich intensiviert. Im Kontext der Kooperation zwischen dem IBB der Tongji Universität und dem Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der Technischen Universität Darmstadt wurde im Zuge der Beratungstätigkeit von Professor Rützel im Auftrag der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, heute Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, ab 2005 verstärkt auf internen Workshops die Frage diskutiert, wie das IBB sein insbesondere auch durch die Promotionen in Deutschland vorhandenes Forschungspotenzial nutzen und weiterentwickeln sowie sein Forschungsprofil stärken könnte. Hintergrund dieser Diskussionen war auch, dass die Berufsbildungszusammenarbeit wegen der stark gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Stärke Chinas in absehbarer Zeit auslaufen würde. Es galt, die erzielten Ergebnisse und angebahnten Kooperationen nachhaltig zu sichern und in neue Bahnen zu lenken. Hochschulkooperationen waren dazu eine geeignete Plattform. Aus diesen Überlegungen entstand die Idee, einen Chinesisch-Deutschen Workshop zur Berufsbildungsforschung zu etablieren, der auf der Basis der Kooperation zwischen dem Institut für Berufsbildung der Tongji Universität und dem Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der Technischen Universität Darmstadt von der jeweiligen Leitung des IBB und Josef Rützel konzipiert und organisiert werden sollte.
Kern des wissenschaftlichen Austausches sollte ein gegenseitiges Interesse am aktuel-len Forschungsstand und an neuen Entwicklungen im jeweiligen Land sein. Geplant wurde, den Workshop regelmäßig durchzuführen und zwar abwechselnd in Shanghai und an einem deutschen Universitätsstandort.
Der 1. Chinesisch-Deutsche Workshop zur Berufsbildungsforschung wurde im Oktober 2010 an der Tongji Universität mit dem bewusst sehr allgemein gehaltenen Titel„Berufsbildungsforschung in Deutschland und der Volksrepublik China“ veranstaltet. Ziel war es, den Dialog und die Kooperation zu fördern, zu intensivieren und zu erweitern. Ermöglicht werden sollte die Idee eines Austausches auf Augenhöhe und es sollte exemplarisch die deutsche Forschungslandschaft und das Forschungsprofil des IBB repräsentiert werden. Daher wurden Experten mit unterschiedlichen Forschungsthemen und Forschungsansätzen eingeladen.
Auf dem dreitätigen Workshop hielten acht Berufsbildungsforscher des IBB, eine Berufspädagogin der Pädagogischen Universität Ostchina und fünf Wissenschaftler aus der Bundesrepublik Impulsvorträge. Letztere kamen aus den Universitäten in Darmstadt, Duisburg-Essen, Gießen, Paderborn und der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd. Aufgabe der Referenten war es, ihre Forschungsschwerpunkte, den Forschungsgegenstand, ihren Forschungsansatz und die präferierten Forschungsmethoden vorzustellen und mit den Teilnehmern zu diskutieren. Durch dieses Konzept konnten Einblicke in die jeweilige Forschungslandschaft ermöglicht werden. Den Abschluss des Workshops bildeten eine moderierte Diskussion zu gemeinsam interessierenden Forschungsfeldern und -ansätzen, um dadurch bestehende Forschungskooperationen zu vertiefen und neue anzubahnen.
Die von Beginn an als Reihe angelegten Workshops gingen 2011 an der Universität Paderborn in die zweite Runde. Gleichzeitig wurde mit diesem Workshop auch der geplante Wechsel der Veranstaltungsorte zwischen Shanghai und Deutschland verwirklicht. Das Format des ersten Workshops wurde weitgehend beibehalten, jedoch wurden nach dem ersten und eher allgemeinen Austausch auf dem zweiten Workshop die Themen stärker eingegrenzt:„Qualität, Standards und individuelle Kompetenzentwicklung in der Berufsbildung und Professionalisierung in der Lehrerbildung.“ Mit diesem noch relativ offenen Titel wurde das Ziel nach einer stärkeren Konkretisierung der Workshop-Themen weiter verfolgt und es wurden die eingangs genannten Herausforderungen im chinesischen System berücksichtigt. Fachliche Inputs gab es von sieben chinesischen Berufspädagogen der Tongji Universität und von acht deutschen Wissenschaftlern, ergänzt um drei Posterpräsentationen. Das Gros der deutschen Inputs kam von der Universität Paderborn. Beteiligt waren zudem Forscher der Universitäten in Darmstadt, Gießen, Magdeburg, Osnabrück sowie der Fachhochschule Bielefeld. Gegenüber dem ersten Workshop wurde damit wie beabsichtigt das Kooperationsnetzwerk auf der deutschen Seite moderat ausgeweitet. Weitere Impulsvorträge kamen von einem Wissenschaftler der National University of Laos, Mitglied im asiatischen Netzwerk für Berufsbildung, sowie von Wissenschaftlerinnen der Universität Graz, die mit den Wirtschaftspädagogen in Paderborn kooperieren.
Nach einer Pause wurde im März 2015 an der Tongji Universität beim dritten Workshop die Lehrerbildung in beiden Ländern mit den Schlagworten „Professionalisierung, Kompetenzen, Qualität“ in den Mittelpunkt des Austausches gerückt. Damit fand eine weitere thematische Fokussierung statt, durch die der Austausch vertieft werden konnte. Zur Intensivierung und Qualitätsverbesserung des Austausches trug auch bei, dass eine hohe Kontinuität der Teilnehmer sowohl auf chinesischer als auch auf deutscher Seite zu verzeichnen war. Gleichwohl wurden sowohl von chinesischer Seite als auch von deutscher Seite neue Aspekte in die Diskussion eingebracht. Am CDIBB hatte die Drittmittelforschung einen deutlich höheren Stellenwert eingenommen und es waren Wissenschaftler beteiligt, die über Stipendienprogramme an der Universität zu Köln und der Europa-Universität Flensburg promoviert hatten. Auf deutscher Seite wurde das Netzwerk um die Universität Göttingen erweitert. Zudem nahmen drei Professoren der Technischen Universität Darmstadt teil, um die im März 2013 eingerichtete Strategische Partnerschaft beider Universitäten auch inhaltlich auszugestalten.
Das Schwerpunkthema auf dem 4. Chinesisch-Deutschen Workshop zur Berufsbildungsforschung, der vom 22. bis 24. Februar 2016 an der Technischen Universität Darmstadt stattfand, war die Systementwicklung. Insgesamt wurden 23 Vorträge in drei parallelen Panels mit jeweils unterschiedlichen Fokussierungen gehalten: Berufsbildungssystem. Herausforderungen und Modernisierungen (Panel 1), Hochschulbildung und Curriculumentwicklung (Panel 2) sowie Berufspädagogische Professionalität unter veränderten Rahmenbedingungen (Panel 3). In allen Panels kamen sowohl deutsche als auch chinesische Experten und Nachwuchswissenschaftler zu Wort. Nachwuchswissenschaftler des CDIBB und von deutschen Hochschulen waren gezielter als bei den vorherigen Workshops eingeladen worden, um neben der Erweiterung der Forschungsaspekte auch neue persönliche Kooperationen zu ermöglichen. Für einen ersten Eindruck sind ausgewählte Vortragsfolien der Präsentationen online verfügbar (Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik, 2016). Die Vortragenden kamen neben der Technischen Universität Darmstadt und der Tongji Universität auch von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, der Universität Duisburg-Essen, der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Universität Osnabrück, der Universität Paderborn, der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und der Universität Vechta. Teilgenommen haben knapp 50 Personen aus der Wissenschaft. Deutlich zu beobachten war, dass das Wissen über das jeweils andere Land, dass vor allem auch Wissen über implizite Denk- und Handlungsmuster erfordert, ebenso wie die Kompetenz in international vergleichender Berufsbildungsforschung auf beiden Seiten deutich gewachsen waren. Dadurch nahmen die Verständigungsprozesse an Intensität und Qualität spürbar zu. Daran anknüpfend wurde im Rahmen des Workshops ein Forschungsforum in Form eines Barcamps veranstaltet. Ziel war es, gemeinsame Forschungsprojekte zu entwickeln. Dazu wurden bereits abgeschlossene und laufende Forschungsprojekte vorgestellt, um zu prüfen, ob diese durch eine Kooperation erweitert werden können. Diskutiert wurden mögliche Projekte zu den Themen Beruf und Berufswahl, Berufsbildungspolitik und Lehrerbildung. Konkretisiert wird aktuell ein Forschungsprojekt zum Vergleich der Lehrerbildungspolitik in Deutschland und China.
Perspektiven
In der Volksrepublik China ist in den letzten 30 Jahren eine vielfältige, differenzierte und dynamische Berufsbildungsforschungslandschaft entstanden. Die Prognose, dass sich Berufsbildungsforschung weiterhin stark entwickeln wird, ist nicht gewagt – angesichts der Bedeutung, die der Berufsbildung in China zugemessen wird. Strategische Zielsetzung ist es, China bis 2020 in ein innovatives Land zu verwandeln, das zu einer Denkfabrik und zum Exporteur von Spitzentechnologie und Know-how wird (Zheng & Rützel, 2014). Die immer schon fragwürdige Vorstellung, dass China ein „Entwicklungsland“ in der Berufsbildungsforschung sei, dürfte endgültig überholt sein. Aufgrund der zahlreichen chinesische Professoren im Bereich der Berufsbildung, die ihre Promotion an deutschen Universitäten abgeschlossen haben, würde eine solche Charakterisierung mittlerweile nicht zuletzt auch die deutsche Berufsbildungsforschung diskreditieren.
China ist bereits und wird es zukünftig noch stärker sein, ein bedeutender internationaler Kooperationspartner. Aufgrund des nach wie vor in China vorhandenen Interesses an dem Dualen System haben deutsche Kooperationspartner dabei eine besondere Ausgangslage, deren Nutzung zu innovativen Kooperationsprojekten führen kann. Die Chinesisch-Deutschen Workshops stehen exemplarisch dafür und sind gleichzeitig ein kleiner aber durchaus bedeutsamer Mosaikstein in dem chinesisch-deutschen Austausch zu Fragen der Berufsbildung. Unsere Erfahrungen zeigen, dass ein Austausch auf Augenhöhe, überschaubare Netzwerke, die aber immer wieder weiter geknüpft werden und auf neue Entwicklungen reagieren und Kontinuität in den persönlichen Kontakten erfolgversprechend und befruchtend sind. Der 5. Chinesisch-Deutsche Workshop zur Berufsbildungsforschung in Shanghai ist bereits verabredet.
Zu dieser Veröffentlichung
Die hier vorgelegte Publikation enthält Beiträge aus dem dritten sowie dem vierten Forschungsworkshop, die im März 2015 in Shanghai und im Februar 2016 in Darmstadt durchgeführt wurden. Es handelt sich um eine Auswahl der auf den Workshops vorgetragenen Themen. In deutschen und englischen Beiträgen kommen chinesische und deutsche etablierte Wissenschaftlerrinnen und Wissenschaftler neben Nachwuchskräften zu Wort. Unter der Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes zu den Themen Professionalisierung sowie Kompetenzen von Berufsschullehrkräften greifen die vorliegenden Beiträge auch aktuell diskutierte Entwicklungen auf. Dies sind insbesondere Fragen zu entstehenden Herausforderungen durch neue Zielgruppen sowie Fragen zu den sich verändernden Handlungsanforderungen in der Berufsbildung.
In den Beiträgen des Ersten Kapitels zur Professionalisierung werden sowohl theoretische als auch spezifische Aspekte von Professionalisierung wie zum Beispiel das Lehrerwissen thematisiert. Darüber hinaus werden Professionalisierungsanforderungen an die Gestaltung von Studiengängen sowie die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf die Lehrerbildung diskutiert.
Im Kapitel 2 werden neben den didaktischen Kompetenzen und von Schlüsselfaktoren für E-Learning neue Gestaltungskonzepte für das Berufsschullehrer Studium insbesondere auf die Gestaltung der Praxisphasen vorgestellt.
Die Professionalität von Berufsschullehrkräften wird durch vielfältige gesellschaftliche, ökonomische und disziplinäre Entwicklungen beeinflusst. Dies sind vor allem Entwicklungen welche in der Regel nicht oder nur indirekt mit der Professionalisierung und den Kompetenzen von Lehrkräften in Verbindung gebracht werden, diese jedoch maßgeblich beeinflussen. Daher werden im Kapitel 3 Herausforderungen Forschungsergebnisse zu unterschiedlichen Entwicklungen präsentiert.Diese reichen von der Untersuchung ökonomischer Effekte der Berufsbildung über die Analyse möglicher neuer Zielgruppen in der Berufsschullehrerbildung oder den Einfluss des Curriculumsystems bis hin zu internationalen Förderklassen oder das Berufsbildungspisa. Diese Aspekte lassen sich nur schwer systematisch ordnen, sie erhellen aber blinde Flecken und können eine Engführung in der Diskussion verhindern.
Durch kontrastierende Gegenüberstellungen von Forschungsergebnissen und Entwicklungen in diesen beiden Ländern verbunden mit den unterschiedlichsten Perspektiven der Autorinnen und Autoren ist der Band sowohl in China als auch im deutschsprachigen Raum einzigartig.
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